mercredi 4 janvier 2017

I Puritani


1. Kontemplationszwang im Spätkapitalismus

Obwohl wir – möchten wir uns nicht gegenseitig umbringen – ungemein aufeinander angewiesen sind, habe ich keinerlei persönliches Verhältnis zu den anderen Autofahrern, weder auf der nächtlichen Landstraße mit nichts als deren Lichtern als Anhaltspunkten, noch etwa im Stau, Stoßstange an Stoßstange, wo man sich doch in aller Ruhe ein klein wenig näher kennenlernen könnte, denn schaue ich in den Rückspiegel, ermöglicht mir das fast eine persönliche Meinung, nur zu einem Verhältnis langt es nicht. Ich weiß nicht, was es bräuchte, damit ein solches Verhältnis zustande kommen könnte, Verkehr ist es nicht. Bloßer Verkehr führt noch zu keiner Bindung, keiner echten menschlichen Beziehung, das erkenne ich daran. Ich fühle mich ja noch einmal geborgen inmitten all der anderen Fahrzeuge und wünschte mir verkehrstechnisch eher Einsamkeit. Man ist schnell im Traumreich der Selbstbefriedigung, rote Welle hin oder her.

Um mich herum wie Drahtverhau
Aus frommer Ungeduld –
Ich stehe wieder mal im Stau;
Es ist auch meine Schuld.

So sieht es aus, das täglich Brot:
Ein Meer von Artgenossen
Anbrandend bis das Abendrot
Hat all sein Blut vergossen.

Ja, bis die Nacht in Armen hält
Als letzten Lebenszweck
Geht es mir wie dem Rest der Welt:
Wer steht, kommt nicht vom Fleck.

Uns, die wir alle durch das Öhr
Zur selben Stund wolln gehen
Erlaubt erst der Berufsverkehr
Den Himmel zu verstehen.


2. Farbskala, Gospel und Lebensfreude

Vor einigen Jahren nannte man einen solchen noch Neger, doch jetzt sehen wir auch in ihm einen Menschen, und weil dieser Mensch hinter der schwarzen Maske des Wortes „Neger“ verschwand, nennen wir ihn jetzt nicht mehr so. Wir dürfen zur Not noch rufen: Ei, du Blondschopf!“ – denn hinter der hellen Maske des Wortes „Blondschopf“ verschwindet der Mensch hierzulande nicht – aber keineswegs: „Ei, du Neger!“ Diejenigen freilich, die auch schon früher hinter dem Neger einen Menschen sahen, sind aufgeschmissen: Sie hatten damals Unrecht und haben es heute. Ich könnte als Neger nur den Kopf darüber schütteln.
Ich kannte übrigens welche, die sprachen so gut Deutsch, dass sie das Wort zum Lachen brachte. Sie hatten dann so richtig weiße Zähne in ihrem pechschwarzen Gesicht, es blitzte buchstäblich die Intelligenz hervor. Heute bringt so ein Wort niemanden mehr zum Lachen. Wir sind jetzt alle richtige Menschen dahinter geworden.

Die Amsel singt vielleicht deshalb so schön
Weil sie so schwarz ist. Auch die hellern Vögel singen
Doch Amseln scheinen etwas darzubringen
Was mit der Schwärze in Verbindung scheint zu stehn.

Im Gegenlicht sind alle Vögel gleich;
Allein die Amsel hoch auf der Antenne
Wirkt so besonders nah dem Himmelreich –
Die Amsel, oder was ich eben „Amsel“ nenne.

Ist es das schwarze Kleid, was ernsthaft macht?
Die Amsel kümmerts nicht, sie singt im Abendrot
Und ist verschwunden, kommt die Nacht;
Ernsthaftigkeit ist hierbei kein Gebot.


3. Januar 2017

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