samedi 27 juillet 2019

Ode zur süßen Einfalt mit alkäischem Schwänzchen

    Alles, worum unsere Generation gestritten hat
    Und worüber wir einer Meinung waren
    Hat sich durchgesetzt. Alles.
    Und was haben wir erreicht? Nichts.
    Dass sich alles durchgesetzt hat und man dennoch
    Nichts erreicht hat, ja noch weniger als das
    Ist ohne Zweifel das Schlimmste
    Was einem passieren kann.


Auch meine Heimat war Griechenland, voll schöner
Jugend so groß, und mit so kleinen Göttern:
Jenem, oft unter der Sonne des Abends
Nackt zwischen Olivenhainen ein Ziel anzustreben

    Nur das, worüber wir nicht einer Meinung waren
    Hat sich also nicht durchgesetzt – und mit
    Welcher Leichtigkeit, Freunde! – rein
    Gar nichts davon, nichts vom Edelsten, nichts
    Und nur deshalb ist es um die Welt heute
    Nicht besser bestellt als gestern.


Und des Olymps unerbittlichen Wundern
Eifersuchtsvoll manchen Lorbeerbekränzten
Just in ein weiteres Bäumchen verwandelnd
Ästchen wie siegreich gereckt in die ruhige Bläue.

    Übereinstimmung ist fürchterlich. Jede.
    Nur das Feige hat die Chance zu gewinnen.


Was ist, das sei auch; logischer geht es nicht.
    Was nicht sei, sei – auch Wunder erfüllen sich:
       Es bleibt dem Himmel die Gewalt, den
          Sterblichen jeden Triumph zu trüben.

26. Juli 2019

samedi 20 juillet 2019

One Loose Lips Sink Ships Dialogue


1.

So locker deine schönen Lippen auch ein Innerstes verraten:
Den Schlachten, die es zu verlieren gilt, folgen am besten Taten.

Ich weiß erst was von dir, und du von mir, nach ganzer Niederlage;
Wer nie zu weit geht, geht nicht weit genug, nichts steht mehr
______________________________________außer Frage.

    Und wirft das auch einen Vorausschatten auf alles künftige
_____________________________________Kriegen, es ist
    Dies stolze Verplappern von lockeren Lippen des Gegners
___________________________________verwegenste List.


2.

Lieber noch lockere Lippen als verräterisches Schweigen
    Frech behauptend, mit der Stille des Aethers eins zu sein;
       Es ist nämlich nur eins, was, beiläufig, nicht auf
          Einssein pocht, sondern zwingend auf Andres hinauswill.


18. Juli 2019



lundi 15 juillet 2019

Poesiegeschichte mit dem Ohr

Seltsamerweise schreibe ich meine eigenen Gedichte mit dem Ohr – ich sage sie mir selbst auf – doch höre die der anderen erst mit dem Auge.

Ob Copilot bei Aeroflot
Und Heldentod aus Atemnot:
Im Abendrot wie Hundekot
Die ganze Welt fällt aus dem Lot
Wenn Reimerei zu passen droht.

Fabrikschlot obgleich Rauchverbot
Despot im Sonderangebot:
Hier Butterbrot, dort Flüchtlingsboot
Schon kommt die Welt wieder ins Lot
Wenn Wahrheit ihr zum Reim verroht.

Ja, es gab einmal Zeiten
Da war nur richtig, was harmonisch klang:
Gleichklang und Richtigkeit
Richtigkeit und Nichtigkeit
Wahrheit und Klarheit;
Dann aber trat ein, was eintreten musste –
Am Ende genügten die Bilder sich selbst
Und mit ‚selbst‘ harmoniert eben nichts so recht außer
Einem weiteren ‚selbst‘, dem eigenen Echo.

Hungertuch und Trickbetruch
Warten, bis die Stunde schluch;
Bilderbuch und wilder Fluch
Kreucht so lange, bis der Kruch.

Wahr seien nur die Gedanken, so formulierte es ein ob seiner
Subtilität Gefürchteter, die sich selber nicht verstünden.
‚Selber‘, nicht ‚selbst‘, und
Darauf passt dann zum Glück wieder ein wenig.

15. Juli 2019

samedi 13 juillet 2019

Rathaus und Möwenflügel

Außer Haus zu gehen ist jetzt entmutigende Kühnheit. Die Bekannten, falls sie einem begegnen, grüßt man, und mag sogar ein Schwätzchen mit ihnen halten, doch die Unbekannten gehen nicht etwa nur grußlos vorüber, sondern sie tun – ob zu Fuß oder auf elektrifizierten Gefährten – gerade so, als gäbe es einen nicht. Sie schauen niemals bis in fremde Augen, auch dann nicht, wenn der Waghalsige sie probehalber anblinzelt, und meist ist es so, dass sie bei Engpässen keinerlei Anstalten machen auszuweichen – der andere muss den Unbekannten wie Luft sein – und dieser selbst ausweichen muss, rechnet er absurderweise mit der Möglichkeit eines Zusammenstoßes von Nichtentitäten. Die bizarren Anstrengungen, die neuerdings unternommen werden, um miteinander bekannt zu machen, verstärken das Phänomen. Es gibt nichts mehr zwischen dem Grußwürdigen – Küsschen! Küsschen! – und dem schlechterdings Nichtexistenten. Nicht regelrecht bekannt mit einem, aber dennoch im gemeinsamen Raum als lebensdichte Mitkreatur erkannt, das war einmal die Bevölkerungsmehrheit und ist im progressiven Finanzmarktkapitalismus zum schieren Nichts verkommen.

1. Rathaus

Das Rathaus scheint dafür zu sein, dass jeder Bürger sich
Auf eine Art von Einrad oder Radelrutsch begebe
Und derart ausgerüstet durch ewige Jugend schwebe
Und wisse nicht mehr, wer er sei und was Bewegung solle
Doch dafür mit Musik im Ohr dem Nichts entgegenrolle
Und es seh aus wie Daseinsglück, nicht etwa fürchterlich.

Rathaus begrüßt auch, dass die Einwohner der Weltstadt ganz
Entspannt nicht weiter als die eigne Nase vorwärts schauen
Namentlich, wenn durch Kot sie radeln rein aus Selbstvertrauen.
Ich wär noch lieber ein Stück Hundedreck auf dem Trottoir
Als einer, der nicht merken soll, was einmal besser war;
Doch von Vergänglichkeit kennt man im Rathaus nur den
_________________________________________Schwanz.


2. Möwenflügel


Dem Urschleim wuchsen Flösslein voll aus Feuchte
Und hinterher gar Flügelchen (klagt Benn)
Und als er demnach seiner selbst entfleuchte
Flog der Gedanke auf: Was wäre, wenn?

Was wäre, wenn es mich so gar nicht gäbe
Und ich Gedankenschleim noch immer wär?
Gottchen, das Fragen nützt nüscht. Schlag und lebe!
Die Antwort ist doch bloß nach unten schwer.

Sehr tief hinab zieht es den, der fein grübelt
Und wer sich solche Urschleimrätsel stellt
Der wäre wo? – es sei mir nicht verübelt:
Dem geht es meist recht gut in seiner Welt.


12. Juli 2019

mercredi 10 juillet 2019

Von Ehr und Treu


1. Pferde kotzen sehen

Der Roßtäuscher von Brassenheim täuschte einmal so dreist Roß und Reiter, dass er für ein paar Jahre nur noch durch die Gitterstäbe des Brassenheimer Zuchthauses täuschen durfte. Doch manche wollen es ja nicht besser, und so kam er reicher aus dem Turm heraus, als er in ihn hineingegangen.

Moral:

Wänn du mer ei∫<, es g e Pferd
I∫< es mer nit e Räppli wert;
Do< ∫<wör∫<, es g nummen e Kue
Krieg∫< vu mer öppes no derzue.

Die blutte Wohrhet i∫< nünt wert
No wenger wie ne lahmis Pferd.
Es Lüege het zu kurze Stoe –
So bitter i∫<, me <öt grad <oe.


2. Heldendarsteller auf sanftem Ruhekissen

Man sollte den Gnomen der Vorzeit aus Prinzip ein Maximum an Verständnis entgegenbringen, aber es gibt doch Grenzen. Zuweilen juckt es mich, besagte Grenzen auszutesten, und ich strebe nach abgelagertem Schund. So durchblättere ich seit Tagen die im Adenauerdeutschland sehr erfolgreichen und mittlerweile in den deutschen Spießerkanon aufgenommenen „Strahlungen“, worin sich drei Bände lang ein in Wehrmachtsuniform durch Paris stolzierender Gockel für einen Weltbürger hält, weil er mit den örtlichen Ekelfetzen im O-Ton plappern kann. Gleichzeitig wundert er sich, dass die unverdorbenen Kinder auf der Straße die Träublein, die der Herr mit dem Hakenkreuzadler ihnen anbietet, fast allesamt ablehnen, und schwafelt deshalb vom angeborenen Misstrauen zwischen den Menschen. Gestohlene Trauben wohlgemerkt, denn wo seine Devisen herkommen, fragt er sich nicht; feine Leute ernähren sich immer aus dem Lande, während die Eingeborenen gefälligst die Hände auszustrecken haben. Aus jeder einzelnen Zeile stinkt einem der Boche entgegen, und zwar der der allerprovinziellsten Sorte – derjenige, der meint, Opportunismus und das Benutzen von Toilettenwasser seien Zeichen von Urbanität und Klasse. Das hochtrabende Ganze dargereicht mit vielen fremden Federn und einigen eigenen Albernheiten – es gäbe mehr Proletarier als bessere Herrschaften, beispielsweise, weil man schließlich auch mehr graue als bunte Muscheln am Strand fände; mit solch spiritueller Naturkunde glänzte man zweifelsohne beim Entchendiner in der Tour d’Argent – und zum Nachtisch die schweinische Bemerkung, insofern sich das Schicksalsrad halt mal wieder gedreht habe, erwarte jetzt die Deutschen die Erfahrung der Juden: die eines „Skandalons“. Verächtlich zu sein oder verachtet zu werden kommt dem Stenz auf dasselbe hinaus. Nun, dass Talmi zum Innerlich-dagegen gehört wie Pommade zum Eintänzer, ist auch mir bekannt, doch dass man darüber geteilter Meinung sein kann, muss mit Kollektivschuld und -schande zu tun haben; und dass der alte Scholem aus privaten Gründen gewillt war, mit dieser Nummer ein paar Informationen auszutauschen, wird dann logischerweise aufgebauscht.
Gerade auch hierzulande lesen manche das Zeug mit Begeisterung, das ist wahr. Was mögen die Gründe sein? Sicherlich Lust am Tratsch und weil die finstere Zeit schnell ein Ende hatte; vor allem aber, man darf sich darüber nicht täuschen, weil man sein Bild vom deutschen Tölpel bestätigt findet. Wenn schon der stilistisch gepflegtere Teutone so stockblind und unerbittlich reinen Gewissens durch die Welt vandaliert, wie tumb muss dann erst der Rest sein... Die Lektüre des deutschen Salonlöwen befriedigt Germanophile
und Germanophobe.

Es findet der auch schofel seitens der Natur
Dass die für zwei Funktionen – die eine sublim
Die andere gemein – dasselbe Körperteil
    Bereitstellt. Gott, was stellt er sich denn vor?

Dass Sex und Exkretion sich mit demselben Winkel
Begnügen müssen, ist dem Saubermann ein Witz
Und eine Zumutung; allein, wo man mit allen
    Fünf Sinnen lebt, erkennt man gleich den Segen.

Ei, soll er sich das sentenziöse Maul, wodurch
Er freilich auch die Gänseleber in sich stopft
Dann noch bei seiner Art von Beischlaf stöpseln lassen
    Und reservier das andre Loch der Scheiße.


9. Juli 2019