mercredi 5 février 2025

T’enyoro

Zuweilen trifft Verlassensein das Herz in jäher Fülle:
Im Sessel dösend, plötzlich ausgesetzt Jordi Savall
Und es ist, wie dem Wehrlosen nicht sanft, sondern brutal
Das eigne Wesen aufzudrängen gegen seinen Willen.

Nicht wüsste ich, betäubt von Schlaf, warum die Gamben stören;
Vielleicht ist es ihr Mangel an Erregtheit, der erregt
Wenn diese kaum durchbrochne Stille in sich selber schwelgt
Und – weil ich nicht beherrschen kann, wie meine Wünsche hören.

Nicht bist du da als Mittlerin der ungebetnen Töne
Allein durch Gegenwart, so wissend nachsichtig die Hand
Auf meinem Arm, so ruhig mit der Ruhe mich versöhnend

Dass, einzig deinem anders lauschenden Musikverstand
Vertrauend, Muse, tauchend ein ins fremde Element
In das mir Angetragene ich mich ergeben könnt.

4. Februar 2025

mardi 4 février 2025

Payoff and Liability

1. Backwater Peace

Wirkliche Ruhe gibt es nur in der ganz großen Stadt. Sich ernsthaft zurückzuziehen ist eigentlich nur dort möglich, wo wir so eng aufeinanderhocken, dass Diskretion und mithin gesundes gegenseitiges Ignorieren zur Naturnotwendigkeit wird wie in der funktionierenden Ehe. Wer nicht in einer sehr großen Stadt lebt, weiß vermutlich nicht, dass es möglich ist, seine unmittelbaren Nachbarn nicht zu kennen – nicht: sie nicht zu grüßen, sondern tatsächlich nicht zu wissen, dass man beispielsweise diesen Mageren in seiner objektiv stets etwas ausgefallenen Kleidung nach einem Jahrzehnt bewusst erkennen und zumindest grüßen müsste. Grußlosigkeit hat hierzulande nichts mit Unhöflichkeit zu tun, sondern mit verinnerlichter Etikette. Wird einmal dennoch gegrüßt, entgegnet dem übergriffig Grüßenden die Verblüffung im Gesicht des Gegrüßten, falls der es überhaupt bemerkt hat. Und hat er es bemerkt, wurde jedenfalls zu laut gegrüßt.
Andererseits erfährt man von Zeit zu Zeit, rein durch Zufall, dass in der nächsten Nachbarschaft abenteuerliche Geschichten über einen kursieren, Gerüchte, die so haltlos sind, dass sie nur die Einsamkeit derer beweisen, die sie in die Welt gesetzt haben. So grausam einsam sind manche Nachbarn, sagt man sich, dass sie sich über Unbekannte etwas zusammenreimen müssen. Ersetzt man da jemandem den Filmstar? Nach Dorf riechende Redereien sind der letzte Beweis dafür, dass es vollkommene Abgeschiedenheit nur in der sehr großen Stadt gibt.

Der Erde Mittelpunkt ist anonym, es
Ist ein großes Loch, das die Mitte bezeichnet
Ein großes, ganz mit Menschen vollgestopftes Loch.

Auf der Straße mag man Damen in einer Duftwolke begegnen
Im Untergrund kaum, und zu Stoßzeiten gar nicht
Es würde sich nicht gehören.

Woher weiß die Ortsansässige
Dass sie sich entweder wild parfümieren
Oder in den Nahverkehr abtauchen darf, beides aber nicht?

Woher wusste einer, dass er, um sich zu betten
In den Nabel der Welt, zurück musste
In ihren mütterlichen Bauch?


2. Bubke’s Warfare

Hab dort drüben zwar längst keinen Koffer mehr, aber einen Ort hab ich noch, und damit geht es ganz anders zu als mit dem entsprechenden hiesigen. Ich zitiere mich: „Dass wegen eines krumm eingesunkenen alten Steines / Mit der Zwangsauflösung des Grabs aufgrund von Ungepflegtheit gedroht wird / – der Fachausdruck ist „Abräumen“ – / Allein diese Tatsache / Lässt des Landes historische Flächenbombardierung / In durchaus milderem Lichte erscheinen. // Was man will, das bekommt man auch.“ (Verwilderte Gärten, 2015)

La guerre peut avoir lieu dans le vide
Dans le grand vide même –
J’y suis préparé.

Mais suis-je prêt
À lutter dans le vide absolu
Même pas de coup d’épée dans l’eau ?

La guerre des étoiles
Est une guerre qui permet au néant
De l’emporter grâce au je-m’en-foutisme de ses astres.


3 Février 2025

lundi 3 février 2025

Augen

Wirken

In Würde dahinschreiten
Oder davonwatscheln wie eine Ente –
Des Blickes strenges Urteil macht den Toren aus.
Aber den Menschen, den Albatros – was?
Es wandelt hinweg und es wähnt einer sich.

An sein übliches Schicksal gewöhnt keiner sich
Nur an den verabreichten Schweinefraß
Quillt er ihm auch aus den Ohren heraus.
Wenn er nur wollte, wie er könnte
Hinter sich ließ er im Fluge die aufschäumenden Weiten, Gezeiten

Mit dem Sturm stünde er auf du und du
Doch immer schaut ihm ein Unbeteiligter zu.


Wollen

Was gibst du mir an Kröten?
Gerade so viel, wie du wert bist.
Ich bin ungemein viel wert.
Vergleiche dich mit den Ärmsten. Bist du so viel mehr wert?

Nein? Siehst du.


Warten


Sah ein buntes Stück im Straßengraben liegen
So bunt, dass es aus Plastik sein musste.
Wäre es edler gewesen, also weniger bunt
Hätte ich mich danach gebückt
Denn ich rette Schätze aus dem Straßengraben.

Sie dürfen blinken und auch bunt sein, aber nicht zu sehr.
Was noch im Straßengraben so glänzt, kann nichts wert sein
Oder vielmehr: Es muss sehr wertvoll sein oder wertlos
Der flüchtige Blick verfügt’s.

Kleiner, sei etwas diskreter im Straßengraben
Wenn du gerettet werden willst
Die Leute sind empfindlich.


2. Februar 2025

dimanche 2 février 2025

Loterie

La vieille dame dit à son arrière-petit fils intrigué : « Ce numéro-là, tu vois, il est écrit sur le bras pour que je n’oublie pas de le jouer au loto. Mais je n’ai jamais gagné. » – « C’est ton nombre porte-bonheur alors. Ou porte-malheur ? » – « Puisque tu es là, mon chéri, il m’a donc porté chance. » – « Même sans gagner au loto ? » – « Oui, même sans gagner au loto. »

1.
Sur une pente naturellement lisse
Une bille roule toujours dans un sens
Rien à faire, la bille est têtue, elle roule.

J’ai essayé de rendre la pente rugueuse
J’ai tripoté la bille, mais pas moyen
De changer le cours des choses.

2.
Il faut se faire une raison :
Le gens avec qui on est en contact
Nous connaissent très peu ou pas du tout.

Ici-bas, on se fréquente vaguement en âmes inconnues ;
Voilà pourquoi les rapports entre nous sont durs
Et dépourvus de la moindre miséricorde.

3.
D’ordinaire, on se fait traiter en délinquant
Qui ne peut prétendre aux circonstances atténuantes
Et dans les cas communs, est condamné à mort après les tortures.

La belle mansuétude à laquelle tu penses avoir droit
Est un privilège accordé aux seules victimes
Dont un vivant ne fait jamais partie.

4.
Mais si tu rêves de relations douces
Ne rêve pas d’un endroit où tous se connaissent ;
Dans n’importe quel village, surtout là, la haine va bon train.

Si cette âme qui t’a enfin reconnu fiche le camp
Il n’y a plus d’espoir. Bille sur la pente
Chacun est détenu de fonction.

5.
Qui a le meilleur sort :
Celui qui supporte mais vit
Ou celui dont on s’est vite débarrassé ?

Or, avant de répondre, demande
À la bille et à la pente
Leur ressenti.

28 Janvier 2025

 


samedi 1 février 2025

Intermezzo for Various Rugs, Two Pianos and a Wrapped-up Dog

  1. Area Rug

Meine fast neunzigjährige Tante bewarb sich um eine „Pflegestufe“, doch der Fachmann von der Kasse, offenbar kleinem Hause entstammend, stellte nur verärgert fest, dass bei ihr dicke Teppiche herumlägen, und trug das auch gleich in seinen Fragebogen ein. Wolle sie die nicht umgehend abschaffen – und am besten noch in seiner Gegenwart – wüsche er seine Hände in Unschuld; es sei dann einzig und allein ihre Schuld, fiele sie erneut hin mit ihrem frisch genagelten Oberschenkelhals. Sie sei aber doch gar nicht in der Wohnung gestolpert, entgegnete sie frech, es sei auf dem nackten Kellerboden passiert, und nur, weil der dumme Zeitschalter mal wieder das Licht habe ausgehen lassen. Dieser schreckliche Sparwahn. Egal, meinte der dem Geize gegenüber tolerante Gutachter, eine staatliche Pflegestufe käme bei jemandem mit Perserteppichen nicht in Frage, und jemandem mit rotlackierten Zehennägeln zweimal nicht, das Amt besäße schließlich kein Füllhorn, und wo kämen wir denn da überhaupt hin. Das mit den der Pediküre verdankten eleganten Füßen und dem Füllhorn sagte er natürlich nicht, aber er dachte es garantiert.

Why still own an area rug?
Since you wane and scuff
Keep your slippers, don’t be smug
Old age is enough.

Mettle is another thing –
Dare when you should yield:
Temper and floor covering
Are too wide a field.

Never ask the specialist
How to remain fit.
If you do, they will insist
That you better quit.

“Dump them all!” said lino thug.
“I’m afraid I can’t.
Croak yourself on my fine rug!”
Quoth my rugged aunt.


2. Synesthesia

Es gibt zwei Klaviere hier im Haus, und wenn das rechte obere Fenster da hinten erleuchtet ist, weiß ich von der Terrasse aus, dass er jetzt vermutlich vor dem einen sitzt und spielt. Bei der Nachbarin dazwischen sehe ich von der Terrasse aus nicht, ob sie spielt; dafür höre ich es durch die Wand. Ich kann es also mit gewisser Wahrscheinlichkeit sehen oder mit absoluter Sicherheit hören, wenn ein Klavier in Betrieb ist.
Das Hören ist sicherer als das Sehen, wie zuweilen im Leben. Fordert man dich auf, einzig das zu glauben, was du gesehen, aber nicht das, was du bloß gehört hast, ist das auch nur ein Ratschlag unter vielen, der nachzuprüfen wäre. Die sogenannte Synästhesie kann einem einen Strich durch die Rechnung machen.

Here, the Vivace I can only see it and quite guess;
What I hear is a protracted Lento.
Why is it so?

There’s always one mode more to go –
Call it simply a Movimento
To have the fullness.


2. Dog in a Stroller

Truth is I hate to walk but love my tyke.
Parochial, pets reflect us, peoplelike.


January 27, 2025