jeudi 26 décembre 2024

Von Feigheit und Kühnheit

1. Edle Einfalt

“Skin-to-skin contact is so audaciously turn-of-the-century,” she said. “It’s almost like intelligence.”
“You were hardly born when the century turned,” the respondent said.
“I was indeed quite young,” she retorted, “but don’t railroad me. The perk of being a minor is that there are no blinding conventions. Immature eyes are incorruptible, aren’t they?”
If, in principle, no one could agree more than the respondent, corruption is a sort of grooming. “What we now consider grooming,” he ventured, “in days of yore was called seduction. In adult times we had personal responsibility, and it just started more or less early, marking the boundary of absolute nonage, faith put in natural evolution toward the capacity to consent. The entire concept not suiting any more, nowadays we replace it with collective denunciation, preferably decades later, for coward dogs most spend their mouths when all runs far behind them.”
“Why dismiss the most delicate of our emotions as childish infatuation?” she wondered. “Is it all about aftermath?”
“In ancient Megara, they supposedly had this queer contest of kisses,” the respondent explained, “and whoever won it returned home to mommy proudly laden with laurel wreaths. What some degenerates like Theocritus and his ilk passed off as a tradition could even do without proper seduction. The kids’ inborn greed for garlands was enough arousal.”
“A sheer matter of glory?” she asked, her mouth hanging open.
“Any puerile snake bites its tail to begin with,” he answered. “In Hollywood they once called it a happy ending, but what we have thenceforth wrought mainly steals our joy.” (1)


Als ich im Fleischerladen stand
Und all die prächtgen Brocken sah –
Tiefrot, hellrot und sündhaft zart
Geschmeidig weich und muskelhart –
Sprach ich zu mir: Wie wunderbar
Dass sowas auf die Theke fand.

Da lag ein Fetzen Schweinsgesäß
Bei einer blanken Entenbrust
Ein Kälbchenschwanz im Gänseschmalz
Bei Kruspelspitz und Rinderhals
Und all die pralle Fleischeslust
Stand zum Verkauf, naturgemäß.

Zu meinem Pfündlein Lammkotelett
Bat ich verschämt um Rückenspeck
Doch kriegte nur ein Schulterstück.
Das fand ich ungenügend fett
Und fragte: Ist der Speck schon weg?
Der Lehrling sagte: Ja, zum Glück

Und zeigte seinen Schinken her.
Der sah sehr rund und rosig aus
So rosig wie vom Ferkelein –
Das wollt ein lecker Bissen sein!
Lüd ihn grad ein zu mir ins Haus
Wenn er nur mehr durchwachsen wär.

(1) En fait, je me répète. Cf. ici.


2. Stille Größe

« Ivresse et volupté sont les deux mamelles du désir, ajouta-t-il d’un ton docte. Or, le désir peut aussi faire sans, le balcon dépeuplé, voire carrément désert. Plat de poitrine, le désir se contente de la consommation calme. Ayant la satisfaction béate, il connaît le rot de rassasiement. Assouvi, le désir dit merci sans drame. Est-ce intéressant ? Loupe-t-on quelque chose avec un désir aussi tiède et mal éduqué ? En tout cas, il tient mieux dans la durée. Les fugitives mamelles se flétrissant et tombant, la poitrine à la Birkin reste, elle, jeune à jamais, la gravité s’avérant sans pouvoir sur ses seules pointes, isolées telles des écueils dans une mer d’huile. On peut alors la trouver désirable, cette absence de luxuriance. C’est du solide, se rassure-t-on, c’est le bonheur adulte en dépit de son apparence d’à peine pubère. L’épanoui ressemble au mou, quoi, le naissant à l’éternité. »

Ich wusste lange nicht von außerhalb
Außerhalb gab es nicht
Es gab genug Licht
Das Innere enthielt genug Gestalt.

Ich musste mich vom Außerhalb entfernen
In Undurchsichtigkeit
Um mit der Zeit
Auch innerhalb mein Teil dazuzulernen

Doch als ich beides kannte, war mein Sein
Beinahe ganz vergangen
Und vom Verlangen
Nicht mehr viel übrig außer Widerschein.


19. December 2024

samedi 14 décembre 2024

Mögliche erste Male

                       “A glance is accustomed to no glance back.”
                                                                     Brodsky, A Part of Speech


Mögliche erste Male fanden nicht statt
Schmerzhaft nicht.
Es war da ja kaum auszuhalten. Nur weg!

Erste Male fanden später statt, mit Fremden.
Es waren Fremde, die retteten
Fremde, die in der Fremde dann zu einem selbst wurden.

Die sich den ersten Malen verweigert hatten, wurden fremd.
Das Leben hatte zuerst falsch zusammengewürfelt.
Oder erst hinterher richtig.

Statt möglichen ersten Malen – ein Dazulernen
Dass erst Fremdheit sein muss
Um zum Eigenen zu kommen, zu dem, was einem zusteht.

                                              *

N’étant jamais parvenu à mettre pied à terre
Il demeurait, comme pendu dans les airs
Mais poids suspendu, et encore en flottant ancienne lourdeur.

Sans attaches au sol ballotté au gré du vent
Le gibet dressé haut dans une clairière bruissante
Pas de crainte, donc, que la foudre l’abatte.

C’est pourtant ainsi qu’on est le plus vulnérable
Car c’est l’abandon seul qui permet qu’on soit touché.
C’est pourtant ainsi que la peau se tanne et l’âme lit l’avenir.

                                              *

If it’s broken, it must be healed with consumption.
Any glance back welds its red-hot halves together again.
At recommended room temperature, tepid heart’ll stay in pieces.

Serious youth can’t be this prudent, he decided.
Smothered by missèd kisses, the boy began to talk in tongues.
Torn apart like a cloud running fast across mid-heaven, I escaped _______________________________narrowness and void.


December 12, 2024

mardi 3 décembre 2024

Von Farben und Tönen

Farben sind meist gedämpft in der Natur
Und greller, wenn man die nur imitiert;
Dem Wahren kommt das Grelle nahe nur
Doch trifft es nicht, Natürliches changiert.

Wer Grautöne zu unterscheiden lernt
Weiß mehr, bloß auch von Wahrheit keine Spur:
Je mehr er von den Farben sich entfernt
Desto mehr unterschätzt er die Natur.

Nichts Halbherziges ist der Welt zu eigen
Nirgendwo geht es rauer zu als draußen –
Wem es bewusst ist, der wird lieber schweigen
Und mit sich selbst im finstern Zimmer hausen.

Verkennend, was er hätte sehen müssen
Was ihm durch Luken scheint, das ist sein Wissen.

                                          *

Feinsliebchen, halt stets brav die Äuglein offen:
So Klänge, die du hörst in deinem Ohr
Womöglich kommen sie auch draußen vor
Doch sicher ist es nicht, es bleibt zu hoffen.

Innere Stille ist kaum zumutbar.
Der Lärm allein kennt allzu viele Töne
Vermeintliche und echte, schräge, schöne –
Das, was du hörst, ist äußerst anfechtbar.

Wer abends in den milden Himmel schaut
Und dazu aus dem Radio Mahler hört
Von Stimmen und von Stimmungen betört
Fühlt Starkes, wenn er seinen Ohren traut

Den müden Augen streift bloß ohne Hast
Ein kleiner Flieger durch den blauen Glast.


30. November 2024