1. Wüstenpalais
Ein Photo des nächtlichen Bundeskanzleramts.
Ich kenne es nicht, das Berlin, das ich kenne
Hieß West-, lag vor der Wiedervereinigung
Hatte so etwas noch nicht und war über-
Haupt ziemlich heruntergekommen.
Auf dem Photo sieht das Amt fast aus wie
Ein orientalischer Palast an einem Wüstensee.
Das können sie, die Orientalen: Paläste malerisch an
Wasserflächen setzen, und zwar Wasserflächen, die sie
Auch noch mitten in der Wüste angelegt haben.
Das können sie aber nicht, die Deutschen: Dass ein
Bundeskanzleramt nämlich auch dann noch, wenn man
Genauer hinschaut, nach etwas gleichsieht.
Schaut man nämlich genauer hin, ist die Wasserfläche
Nur eine ordinär-neue Uferpromenade, die Bäume
Entsprechen EU-Grünanlagenstandard
Und selbst der Kran im Hintergrund gibt zu
Keinen übertriebenen Hoffnungen Anlass. Man
Bemerkt, dass das Land nicht vom Emir regiert wird
Sich also, Weltoffenheit hin oder her, auch
In dieser Beziehung nicht so viel geändert hat
Dass ein Besuch ungewohnte Erfahrungen brächte.
Das Christentum hat zwar viel mit Gewissensfragen zu tun
Mithin mit Verinnerlichung – das zeigt auch dieses Kanzleramt –
Doch dass freie Grundordnung, demokratischer Grundkonsens
Plus Frauenquote sich unweigerlich auch materiell
Auswirken – also irgendwie die Optik vermasseln – das
Lag auch schon zu meinen Zeiten auf der Hand.
Und ob nun Orientalen oder nicht:
Leute mit Schönheitssinn macht das krank.
Himmel, ungelenk bleibt ungelenk
Solches Abkupfern beschwichtigt sie nicht
Es herrscht – das muss man hier einmal ganz deutlich sagen –
Einfach ein Kampf der Kulturen.
2. Unlüftbare Schleier des Realen
Ein entfernter Bekannter erzählte mir einmal
Dass er als Student (oder junger Architekt)
Einen Entwurf zu den Ölscheichs geschickt hatte
– Es handelte sich um einen Wettbewerb –
Und dann irgendwann ein Photo bekam:
Das eigene Werk, riesengroß, in Marmor.
Wollte man sich dort erst am Objekt entscheiden
Oder hatte er gewonnen, ich weiß es nicht mehr –
Theorie war in der Wüste jedenfalls Praxis geworden.
Ein erhebendes Gefühl.
So erhebend wie jede Verwirklichung.
Eingeladen, das mit eigenen Augen zu sehen, hatte man ihn aber
Nicht. Es blieb beim Photo. Weshalb
Doch der Schleier des Unwirklichen über der Sache noch liegt.
Ja, auch die Wüste bewahrt sich gerne ihre Innerlichkeit.
Das ist ein weiteres Element im Kampf der Kulturen.
Qu’étudiant (ou jeune architecte)
Il avait envoyé un dessin aux émirs
– Il s’agissait d’un concours –
Pour recevoir quelque temps après une photo
Montrant son œuvre : gigantesque, tout en marbre.
Leur fallait-il l’objet afin de se décider
Ou l’étudiant l’avait-il remporté ? Quoi qu’il en soit
Sa théorie, dans le désert, s’était faite pratique
Procurant ce sentiment d’élévation
Immanquable lorsqu’une chose se réalise.
Mais cela en restait là, à la photo. On
Ne l’invitait pas à venir voir en personne.
Ainsi, tout gardait-il à jamais un côté abstrait
Comme voilé par le niqab d’une irréalité possible.
C’est parce que le désert, lui aussi, est jaloux de son cœur.
Voilà un autre élément dans le clash des cultures.]
30. November 2014 [Moqr ul-Mostšār am 29.]