samedi 22 décembre 2018

Über die vierfache Wurzel des Guten im Menschen


1. Vom Guten schlechthin

Ich habe mich einmal für einen Übersetzerpreis beworben und musste dazu Original und Übersetzung plus Rückporto einsenden. Dank Rückporto erhielt ich die Sachen wieder, jedoch kommentarlos, nur mit einem Buchzeichen in der deutschen Ausgabe, das war Kommentar genug. Das Zeichen markierte nämlich eine Seite, in der ich mir erlaubt hatte, ‘cadavre’ mit ‘Kadaver’ zu übersetzen, und zwar im Zusammenhang mit einem toten Kind. Da hatte wohl jemand ‘Leiche’ oder ‘Leichnam’ erwartet, und die Ausdrucksweise muss diese feine Seele schockiert haben. Das gesamte Buch hat sie unter Umständen schockiert, und ich hatte vielleicht noch Glück, dass sie mich nicht auch noch gleich bei der Polizei verpfiffen hat. So wird es jedenfalls nichts mit Übersetzerpreisen, sagte ich mir und stellte mir dabei lebhaft vor, was für Gestalten sie bekommen.

Nicht unmöglich, ein netter Kerl zu sein
Von Güte will ich dabei überhaupt nicht reden –
Ein netter Kerl, sofort parat, falls drum gebeten
Nicht unmöglich ist es, ein Mensch zu sein.

Das gilt wohl für die Mehrheit, heißt mitnichten
Gleich jedem Bettler einen Fuffzger zu spendieren
Und sich wie weiland Jesus Christus aufzuführen
Und so zu tun, als könnt man alles richten

Denn richten kann man gar nichts auf der Welt.
Vor allem sind die netten Kerle die Versager.
Die, die was ausrichten, sind stets vom andern Lager
Und habens in der Hand, dass alles hält.


2. Vom Seelenadel

Die Sache mit dem verarmten Adel ist auch etwas komplizierter als man denkt. Man stellt sich gerne irgendwelche Herrschaften hochfurznoblen Stammbaums vor, die noch unter erbärmlichsten Umständen im zerfallenden, ungeheizten Palais stoisch Haltung bewahren, umsorgt vom letzten verbliebenen Diener, der mit ihnen die trockenen Nudeln frisst und auf anderen Lohn untertänigst verzichtet. Tatsächlich war es über die Jahrhunderte aber so, dass Adlige, die nicht mehr in der Lage waren, ein standesgemäßes Leben zu führen, in recht kurzer Zeit ihre Titel verloren. Es sind ständig altehrwürdige Familien aus dem Gotha geflogen, während Emporkömmlinge, die frech genug waren, sich blaues Blut anzudichten, wenig später wundersam in ihn hineinrutschten. Es gab vielleicht noch die eine oder andere grauhaarige Komtesse, die gegebenenfalls an die nebulöse Herkunft derer von Axelschwitz anspielte, aber meist reichte das entsprechende Vermögen, um böse Zungen zum Schweigen zu bringen.

Dass Blumen aufblühn, wenn der Wohlstand geht
Wie man es immer wieder mal vernimmt
Ist auch so eine Sache, die nicht stimmt.

Dass innre Werte irgendwann gewinnen
Wie edle Geister sichs im Rausch ersinnen
Glaubt auch nur der, der nix von Schnaps versteht.

Dass Mammons Reich liegt in den letzten Zügen
Wie Frohnaturen dir erzählen wollen
Ist grad so wahr, wie dass die Rubel rollen.

Dass nur das Herz zu andern Herzen spricht
Und erst im Dunkeln leuchtet Sternenlicht
Ist auch nur eine ihrer feisten Lügen.


3. Von frommen Wünschen

Das Wesen von Versprechungen ist, dass nichts abzusehen ist, will sagen, sie beziehen sich auf Unabsehbares. Personen, die Versprechen zu halten gedenken, großmäulige Redenschwinger beispielsweise, sind politische Katastrophen. Das Halten von Versprechen, das die Dümmsten am höchsten schätzen, ist die Negation seiner selbst. Wer verspricht, verspricht sich – so steht es schon im Talmud – und Versprecher darf man nicht beim Wort nehmen, sondern man wird sie hoffentlich entschuldigen, sie können in Strohfeuer des Gefechts vorkommen.

Wir haben schon lange die Hoffnung verloren
Dass bessere Zeiten der Fortschritt verspricht
Und wollen jetzt eigentlich nur noch drauf hoffen
Dass halbwegs gesichert die winzige Rente.

Wir hatten uns ewige Treue geschworen
Und wussten, was Treusein bedeutet, noch nicht;
Doch „Hoffen“ heißt auch: alle Zukunft ist offen
Und „offen“ schließt ein, dass es schiefgehen könnte.

Und geht es denn schief, ist halt nichts mehr zu retten
Dann kann man auch das mit der Treue vergessen.
Wir waren ja immerhin nicht so vermessen
Uns mit mehr als billigen Phrasen zu ketten.

Und wäre nicht flüchtig das unreife Schwätzen
Und wäre die Zukunft nicht trauerberändert
Und wäre der Treubruch bewehrt mit Gesetzen
Es hätte doch alles nichts daran geändert.


4. Von einer Klimax des Glücks und des Pechs

Wenn die Leute um einen herum wegzusterben beginnen, holt man den alten Kinderglauben an Jenseits und Wiedersehen hervor. Das muss man offenbar, doch man holt ihn hervor im Wissen, ihn herzuholen, also ohne so recht an seinen Glauben zu glauben. Man hätte auch gleich noch den Weihnachtsmann mit hervorkramen können. Diesen Widerspruch muss man dann auch noch aushalten. Es ist das kleinere Übel. Ob man sein Leben lang auch die Liebe selbst nur aus des Kindes Spielzeugkiste hervorgekramt hatte, ist entweder eine sehr kitzlige Frage oder überhaupt keine.

Der Gute glaubt, woran er glaubt;
Der Bessere glaubt nicht, was er glaubt;
Der Allerbeste glaubt es wieder
Und trällert ungläubige Lieder.
    Das heißt: der beste Mensch auf Erden
    Kann stets noch übertroffen werden.

Es wär schon schön, wenn jeder wüsste
Wo er sich einreiht in der Liste;
Doch glaubt er nur, sich einzureihn
Dann kann er auch der Schlimmste sein.
    Das heißt: das kleinste Glück auf Erden
    Kann stets noch unterboten werden.

Ja, sitzt wer in der Gartenlaube
Und schwirrt um ihn die Friedenstaube
Weiß der doch nicht, woran er glaubt
Sobald er sich den Glauben raubt.
    Das heißt: ihm ist als Pech beschieden
    Das allergrößte Glück hienieden.


19. Dezember 2018

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