i. Von der Lust, sich zu ärgern
[Hatte wieder einmal kräftig Lust, mich zu ärgern, und las daraufhin in den Gedichten eines Spießers, dessen Werk ich aus keinem anderen als gerade diesem Grund gekauft hatte. Nachgerade widerwärtiges Spießertum, in der Tat. Sofort erkennbar an der Kraftmeierei, dem typischen Spießerton, selbstredend nach den alten Meistern, sozusagen zwischen Brecht und Benn, doch solange die noch feucht hinter den Ohren, also erbärmlich leicht nachmachbar sind. Diesen Spießergedichten ist die Spießerfresse des Herstellers auf der hinteren Umschlagklappe zugeordnet. Ein Albtraum von einem Photo, mithin das Wertvollste des gesamten Buchs. Ruft in mir augenblicklich die Erinnerung an einen bleichwangigen, heulsusenhaften, sehr verzogenen Kindheitsfreund hervor, dessen abartig überheiztes Kinderzimmer, die allgegenwärtige Mutter. Ich kannte das nicht, im Wohlstand alles so eng, doch wir waren schließlich Kinder, da kann noch etwas aus einem werden, und ich glaube, aus diesem Kindheitsfreund ist auch noch etwas geworden, mehr oder weniger. Bei vom DAAD verzärtelten Fünfzigjährigen mit genau so einer Visage ist es zu spät.]
Der schwerfällige Benn hat das Nachkriegswestdeutschland
__________________________________________beruhigt
Die Adenauerrepublik: War nicht anders zu machen.
Brecht hat die Ostzone nicht beruhigt.
So etwas war mit ihm nicht mehr zu machen.
Das Wiedervereinigte musste nicht mehr beruhigt werden.
Ohne jede Aufgabe, diese Bürschchen.
Nur das war jetzt noch leichter zu machen: kreuzbrave
______________________________________Reiseliteratur.
Wenn schon erweiterte Freizügigkeit
Unruhe wäre angesagt gewesen
Anstatt Ende von Nachkrieg oder wie auch immer.
Die äußere ist der inneren Emigration eindeutig vorzuziehen
Hysterisches Chaos, reiner Langeweile. Doch
Am fürchterlichsten ist, wenn man ohne den Arsch zu heben
____________________________________umgezogen wird.
Ach, Russland hat sein Imperium verloren
Amerika seine Vollidioten sogar als Präsidenten.
Warum sollte es dem Land der Dichter und Denker besser
__________________________________________ergehen?
ii. Ungelesenes
Ich besitze unter anderem zwei Limes-Bände Benn, in die ich in Jahrzehnten nie recht hineingesehen habe. Sie enthalten eine Auswahl, Briefe und Dokumente, und stammen von meinem Deutschlehrer – ob seinerzeit geschenkt oder nur geliehen, weiß ich nicht mehr; jedenfalls steckte er sie mir zu, nachdem er von einer Gedichtinterpretation so beeindruckt gewesen war, dass er mir eine 1+ dafür gegeben hatte, weil, wie er mir nicht unbewegt mitteilte, dieser Aufsatz ihm, doch meinem Lehrer, das Verhältnis von „fahren“ und „erfahren“ betreffend (es handelte sich um „Reisen“) neue Horizonte eröffnet habe. Ich erinnere mich heute nur noch daran, damals in etwa vermerkt zu haben, dass man sich manches für sich selbst nun einmal er-fahren müsse. Er-fahren wie er-arbeiten, eine Selbstverständlichkeit, nicht wahr.
Ich war damals gegen 16 und interessierte mich nur am Rand für derartige deutsche Lyrik, mein ganzes Interesse galt dem spanischen Barock, seit ich – es war gerade InterRail für mich erfunden worden – in den Pyrenäen einem Sommerkurs des alten Blecua hatte beiwohnen dürfen. Der las und schmauchte, schmauchte und las über Góngora und Quevedo, klapperdürr im Anzug schwimmend und mit weitgehend zerstörter Stimme. Was scherte mich da ein Benn, dessen Schnoddrigkeit oder Begriffsgenesen, wenn ich gerade von höchster Stelle, ganz übergeordneter Warte her, in Kenntnis gesetzt worden war über solch wirksame Ungetüme wie etwa die Acroceraunios montes, oh Júpiter, oh tú.
Benn scheint mir auch heute noch stark überschätzt, aber an meinen Deutschlehrer – er hatte, glaube ich mich zu erinnern, einen Aufkleber „Deutschland dreigeteilt – niemals!“ am Auto – an den erinnere ich mich nach wie vor mit Rührung ungeachtet seiner politischen Ansichten und trotz Fronterfahrung womöglich mangelnden Weltläufigkeit. Die beiden ungelesenen Bändchen haben insofern eine tiefere Bedeutung als die des puren Gelesenwerdens, und das, will mir scheinen, ist letztlich nicht ganz unbennsch.
iii. Von Zucht und Ordnung
Hannah Arendt, die ja so vieles ganz genau zu wissen schien, glaubte auch zu wissen, dass das politische Engagement Bertolt Brechts dessen dichterische Kraft zerstört habe. Sie zog den jungen, künstlichen Brecht dem so schlicht gewordenen alten vor, verwechselte offenbar dichterische Kraft mit Geschick, Kunst mit gut gemacht. Sie erkannte nicht, dass Brechts Engagiertheit in erster Linie nicht die Aufgabe hatte, Gedichte in politische Waffen zu verwandeln, sondern vor allem anderen dazu da war, die eigenen Künstlichkeit zu bekämpfen. Erfolgreicher kann ein Kampf kaum ausgehen als der innere Dschihad des von Natur allzu kunstfertigen BB.
Bei Frau Arendt war es umgekehrt. Sie wurde mit der Zeit immer poetischer. Ihre in Theorie verwurzelten Sicherheiten setzten sie allmählich außer Stande, die fast unwirkliche Komplexität grauer Wirklichkeit zu erkennen. Kein Wunder, dass diese Ideologin etwas gegen Ideologie hatte.
28. Februar 2018
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