lundi 5 novembre 2018

Sterne


1. Identitätsfragen













Ich hatte, echt, einen Onkel, der war
Deputy Marshal in Oklahoma
Ich hatte also de facto einen Westernheld zum Onkel.
Er starb früh, obschon nicht
Heldenhaft im Dienst, an blauen Bohnen
So doch niedergezwungen von einer heimtückischen
Zivilisationskrankheit
Und insofern auch typisch amerikanisch.
Was ich jedenfalls früh geschnallt habe, war
Dass man sich sehr schnell in einen Uramerikaner verwandeln
_____________________________________________kann
– Eine einzige Generation genügt dazu –
Und dann auch gleich
Deputy Marshal in Oklahoma wird.
Um hingegen beispielsweise zum Urdeutschen zu reifen
Braucht es ziemlich viele Generationen und so manchem gelingt es
_____________________________________trotzdem nicht.
Aber wer will das überhaupt, träumt denn schon davon?
Das ist man oder ist man nicht, basta.
Gut, dass sich wenigstens Träume so leicht verwirklichen lassen.

Andererseits soll mein Deputy-Marshal-Onkel
Nicht gerade eine Frohnatur gewesen sein.
Das ist die Rückseite der Medaille
Oder des Marshalsterns, wenn man genau sein will.
Ja, das Verwirklichen von Kinderträumen
Macht nicht unbedingt glücklich.














2. Der Nachkrieg und die Kirya

Zur Willkommenskultur und dem Da-sein.
Im deutschen Nachkriegsbewusstsein kam beispielsweise der Nichtarier sehr lange in nur zwei Gestalten vor: als netter (mehr oder weniger) kleiner Mann und infolgedessen Opfer, oder als scharfdenkender großartiger Intellektueller, der es noch rechtzeitig nach Amerika geschafft hatte. Walter Benjamin stellte die Ausnahme von der Regel dar. Neuerdings gibt es noch eine dritte Form: als jetzt wieder in Deutschland oder Wien ansässig Gewordener, entweder Opfernachfahr oder aus dem sel. Ostblock, auch gerne wieder dem Schriftstellerberuf nachgehend und jüdischen Humor vermittelnd. Wer nicht in die genannten Kategorien passt, kommt im deutschen Bewusstsein eigentlich nicht vor, man könnte es eine Art von Ausblendung nennen. Nach der Vernichtung des nicht Willkommenen, dessen Ausblendung. Man muss in Deutschland offenbar willkommen sein, will man Eingang finden in das deutsche Bewusstsein. Das deutsche Reinheitsempfinden wehrt sich gegen das nicht Willkommene, will es nicht wahrhaben. Dabei ist der Erdball voll von Unwillkommenen, die, wenn man so sagen darf, da sind, obwohl sie nicht ins Bild passen. Man hat den Eindruck, dass in Deutschland derartige Personen psychisch so ausgeblendet werden, wie man sie seinerzeit physisch der Vernichtung geweiht hat. Andere Völker lassen auch die Unwillkommenen vorhanden sein, es genügt dortzulande, ihnen hin und wieder genervt klarzumachen, dass man sie tatsächlich zum Teufel wünscht, Weiterungen hat das nicht. Doch so konsequenzlos mag der Deutsche nicht sein. Regelrecht willkommen oder weg damit. Und wenn „weg damit“ nicht geht  – denn man hat ja schließlich zur Kultur zurückgefunden – dann eben „willkommen“. Und ist man damit überfordert, dann zumindest: aus den Augen, aus dem Sinn. Was übrig bleibt, sind die Nazis.

Ein Sheriffsternchen hat auch schon Kugeln aufgehalten
Doch
Dichtet ein Deutscher etwas über Sterne
Dann darf natürlich auch der gelbe aufgenähte nicht fehlen.

Der ist nun allerdings kein Stern
Sondern ein Schild – König Davids Schild – also
Etwas absolut Militärisches, was
Nicht ganz denselben Effekt hat, falls man
Mäntel damit verziert, und besser noch hält man
Solch ein Schild unangenäht vor sie
Aber
Wie mein Freund Stolperstein immer sagt:
Ackereisen zu Schwertern
Und Zweigmesser zu Spießen
Oder vielmehr Schwerter zu Ackereisen
Und Spieße zu Zweigmessern
Oder wie oder was* –
Jedenfalls leichter geredt als getan.

Und
Schlussendlich noch Sterne zu brauchbaren Schilden?
Oder gar Schilde zu kaum hilfreichen Sternen?
Und wann und von wem bitteschön?
Ach, geschenkt.
Dichtung.


* Nach Blumgarten, z. B. Micha 4, 3:
Un zey weln ibershmidn zeyere schwerdn oyf akerayzens, un zeyere shpizn oyf tswaygmesers

bzw. andersherum Joel 4, 10:
Shmidt ayere akerayzens oyf shwerdn, un ayere tswaygmesers oyf shpizn



3. Dingir

Dingir, das sind nun einmal ein paar ehrfurchtgebietende
Keile, die ursprünglich einen Stern bilden
Und das bezeichnet dann die Gottheit, was sonst.


Ich hab das in meiner Jugend studiert. Lange her, doch
Der Labat steht bei mir immer noch im Regal.
Als mir auffiel, dass es schon in Babylon
Völlig modern immer nur um Finanzielles ging
Hab ich aufgehört, mich für Mesopotamien zu interessieren.
„So war es nicht gedacht gewesen.“ Ganz mein Stil also.
Dabei hätte mir seinerzeit schon klar sein müssen
Dass Geld auch nur eine Sicherheit ist: sicher im Schutze
Des Geldes, als seien es die Fittiche der Gottheit.
Allerdings meinte ich wohl, das Himmlische
Sollte noch zu Noblerem dienlich sein
Als im Geschäftsverkehr Profit zu garantieren.
Da kann ich gleich BWL, und grüne Scheine anbeten
– Sprach es in mir, der ich mich doch als Marxist verstand –
Auf’m Dollar wird ja auch in Gott getrustet, weil die Herrschaften
Bei ihren Transaktionen Gottvertrauen brauchen wie unsereins
Das vielleicht mal mit dem Bus durch die Anden kurvt. Gut
Wenn dann Jesus als Beifahrer auf der Böschungsseite sitzt, denn
Das devisengefüllte Touristenportemonnaie hält es notfalls auch
________________________________________nicht mehr.


Wie gesagt, ich: unzureichend dialektisch
Und das Symbol: ein paar Keile, ein Stern, Dingir.
Hat mich unreifen jungen Menschen damals nicht überzeugt, aber
Hätte sollen. Jetzt ist es zu spät.
Die Stern hilft da, wo man es nötig hat, und nicht anderswo –
So pragmatisch bei der Hilfsbereitschaft sind die
Himmlischen Kräfte allemal.


4. November 2018

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